Wie versprochen, folgt heute die Fortsetzung des ersten Interviews.
Die Zielsetzung des SFBs ist es herauszufinden, welche Testverfahren man wie durchführen muss, um aussagekräftig von den kleinen Kugeln auf das große Material zu schließen. Es werden also Verfahren entwickelt, die schneller gehen und einfacher sind, als es jetzt in der Materialforschung üblich ist (z. B. Zugversuche an großen Proben). Je nachdem, wofür das Material später eingesetzt werden soll, wird nach einem bestimmten Anforderungs-profil gesucht. Hat man z. B. eine Automobil-Anwendung, sucht man natürlich nach einem Material, das eine gewisse Festigkeit aufweist, um die Passagiere bei einem Unfall im Auto besser zu schützen. „Was müsste man in der Makrowelt mit den Materialen machen, damit sie fest sind?“, frage ich Nils. ,,Denkbar wäre z.B., dass man das Material wärmebehandeln müsste, danach umformen und anschließend noch eine Wärmebehandlung.“, erklärt er mir, ,,Aber vorher müssen diese Versuche in der Mikrowelt durchgeführt werden.“
Denn, wie ich jetzt erfahren habe, können kleine Proben ganz anders reagieren, als ihre größeren Verwandten. Nicht nur die chemische Zusammensetzung bestimmt die Eigenschaften von Werkstoffen, sondern auch die Ausprägung ihrer Mikrostruktur. Unter Mikrostruktur versteht man bei Metallen zum Beispiel die einzelnen, mikroskopisch kleinen Körner, aus denen der Werkstoff besteht. Es hängt also auch von der Größe der Körner ab, wann der Werkstoff bei einer Belastung reißt oder wie rostanfällig er ist. Die Möglichkeiten der Ausprägung dieser Mikrostruktur sind so vielfältig wie das Farbspektrum, daher auch der Name der Methode ,,Farbige Zustände“. Im übertragenen Sinne beschreibt Farbe also einen bestimmten Zustand der Mikrostruktur. Einige Teilprojekte im SFB, darunter die im Projektbereich U, verändern also den Zustand der Mikrostruktur durch gezieltes ,,Einfärben“, d. h. die Probe wird wärmebehandelt oder erfährt eine Umformung.
In Zukunft sollten im Idealfall 300-500 Kugeln an einem Tag eingefärbt und durchcharakterisiert werden – zum Vergleich, im Moment schafft der SFB 50 Proben in einer Woche, wenn alle Hand in Hand arbeiten. Das liegt daran, dass in der Anfangsphase viele Vorgänge noch nicht optimiert und automatisiert sind. Es geht zunächst erstmal darum genaue Methoden zu entwickeln, um die Proben miteinander vergleichbar zu machen. Danach kann damit begonnen werden die Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten.
Zum Schluss stelle ich Nils Ellendt noch eine Frage, die nicht speziell etwas mit dem Projektbereich U zu tun hat: ,,Hast du vielleicht eine Vision, für was man in der Zukunft die Werkstoffe, die ihr herstellt, verwenden könnte?“
Nils Antwort: ,,Die großen Themen, die uns momentan bewegen, sind Themen wie Mobilität. Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Aber auch der Energiebereich, z.B. neuartige Gezeitenkraftwerke.
Bei Gezeitenkraftwerken wird die Energie unter Wasser erzeugt, dadurch, dass sie Flut und Ebbe nutzen, sind die Turbinen die ganze Zeit im Salzwasser. Das bedeutet, es darf keine Korrosion, kein Rost stattfinden. Und gleichzeitig treten enorme Kräfte auf, das heißt, das Material muss zusätzlich eine hohe Festigkeit aufweisen, denn so ein Gezeitenkraftwerk ist nicht nur auf wenige Monate ausgelegt, sondern muss über Jahrzehnte arbeiten. Da stellt sich die Frage, welche Werkstoffe brauchen wir überhaupt dafür?
Die Idee gibt es schon lange, aber heute haben wir so einen Werkstoff noch nicht. Und wenn wir mit unserer Methode einen Beitrag leisten können, in sehr verkürzter Zeit neue Werkstoffe zu finden, die das Anforderungsprofil erfüllen, dann ist das eine Beispielanwendung, die mich fasziniert.
Unser SFB zielt darauf ab, dass wir in Zukunft sagen, wir brauchen einen Werkstoff, der bestimmte Eigenschaften besitzt, unsere Methode dann anfängt zu suchen und wir dabei die Legierung und die Einfärbung solange variieren, bis wir gefunden haben, was wir benötigen.“
Mal sehen welchen Projektbereich ich mir als nächstes anschaue, ihr dürft gespannt bleiben!
Emilia Kurilov ist von Oktober 2017 bis Dezember 2019 studentische Mitarbeiterin im TP Öffentlichkeitsarbeit. Sie studiert Medien-, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaft an der Uni Bremen.
Bildquellen
- Mikrostruktur einer Probe aus dem SFB: SFB 1232
- Mikroproben aus dem SFB: SFB 1232 / Claudia Sobich