Heimlich tragen wir – Finn Meiners, Alexander Bader und ich – Tüten und Fahrradteile entlang der Rückseite der Pavillons der Wilhelm-Focke-Oberschule zum Klassenraum. Den Weg über den Schulhof vermeiden wir bewusst. Nils Horstmann öffnet uns den Hintereingang zum Gebäude, in dem die Unterrichtseinheit stattfindet. Der Lehrer hat eine Überraschung für die Schüler und Schülerinnen vorbereitet.
Und die 6a, die noch auf dem Pausenhof herumtobt, soll nicht vorahnen können, um was es in der Schulstunde und dem neuen Modul gehen könnte. Die Wissenschaftler des SFB legen Werkzeuge, Atlasse und Handschuhe bereit und die Einzelteile des Fahrrads in die Leseecke. Dort steht bereits ein zweites, noch vollständiges und verkehrstüchtiges Rad. Langsam strömt die 6a in den Raum.
Nils Horstmanns‘ Plan funktioniert soweit. Als er zu Beginn der Schulstunde fragt, was für Alltagsgegenstände die Kinder kennen, nennen diese zuerst Smartphone und Zahnbürste, bevor ein Schüler auf Fahrräder zu sprechen kommt. Nils lüftet das Geheimnis und holt hinter der Leseecke das Rad hervor, mit dem er noch am Morgen acht anstrengende Kilometer zur Schule bewältigen musste.
„Was könnte man alles über dieses Rad herausfinden wollen?“, fragt der Lehrer. Die Kinder sind sich einig, dass es unter anderem interessant wäre, die verschiedenen Bestandteile des Verkehrsmittels zu bestimmen und darüber nachzudenken, welche Funktionen diese haben müssten, damit das Rad auch als solches genutzt werden kann.
Nils teilt nach der kurzen Einleitung die Klasse in sieben Gruppen. Jede Gruppe soll sich um einen bestimmten Teil des Fahrrads kümmern: Rahmen, Hinterrad, Vorderrad, Sattel, Lenker, Gepäckträger und Licht. In den jeweiligen Gruppen gibt die Lehrkraft jedem Mitglied eine bestimmte Aufgabe. Manche sind Moderator oder Schriftführer, andere Regelwächter oder Materialmanager.
Für die Gruppen gilt es herauszufinden, woraus beispielsweise der Rahmen besteht, d. h., aus welchen Einzelteilen er sich zusammensetzt, welche Werkstoffe zum Einsatz kommen und woher diese wiederum stammen könnten. Aus der Leseecke werden die Tüten und weiteren Fahrradteile, wie der Hinterreifen, geholt. Die Gruppe, die sich mit den Fahrradlichtern beschäftigt, muss diese vom Rad des Lehrers entfernen. Die Schüler und Schülerinnen beginnen mit dem gemeinschaftlichen Schrauben und Sägen. Schnell liegen auf den Tischen die ersten Muttern und Metallstückchen.
Selbst das Rücklicht soll in seine Einzelteile zerlegt werden. Da muss dann aber Nils Horstmann helfen.
Auch Finn und Alexander geben Tipps und legen tatkräftig Hand an. Die Gruppen rätseln, wie die verschiedenen Bestandteile denn heißen könnten.
Und aus welchen Materialien könnten sie hergestellt sein? Eisen, Metall, Kunststoff – diese Wörter werden oft notiert. Zuletzt wird der Atlas zu Hilfe gezogen, um mögliche Ursprungsorte der Werkstoffe zu identifizieren.
Die Ergebnisse der Teams werden vorne an der Tafel gesammelt. Jede Gruppe stellt seine Erkenntnisse vor. Die Kinder hatten zuvor ihre Ideen auf Karteikarten notiert. Nils lobt die Klasse für ihre guten Einfälle – und fragt, welche Prozesse wohl hinter der Herstellung eines Fahrrads stecken. Und wie es das Fahrrad bis nach Bremen schafft: Wie kann es kommen, dass ein Fahrrad, das aus so vielen Schräubchen und Stückchen besteht, als bereits fertiges Produkt hier bei einem Händler zu kaufen ist? Eine Schülerin mutmaßt: „Die verschiedenen Teile werden aus allen möglichen Ländern nach Deutschland geschifft und von den Verkäufern in Fahrradfilialen zusammengebaut!“ Das geht ja schon in die richtige Richtung!
Sicher ist sich aber keiner aus der 6a. Wie man mehr über Produktionswege herausfinden könnte? Die Klasse schlägt Recherche vor – im Internet, in der Bücherei und übers Telefon. Denn man könnte ja einfach mal bei Fahrradhäusern anrufen. Nils Horstmann nickt und muss lächeln: „Wir haben da schon mal Vorarbeit geleistet. In zwei Wochen geht es nach Oldenburg zur Fahrradmanufaktur.“ Unvorbereitet kann man da aber nicht hin, bemerkt er. Deswegen heißt es für den Rest der Stunde, sich Fragen für die Mitarbeiter der Manufaktur auszudenken. In der Folgewoche sollen die Kinder dann schonmal nähere Informationen zum Produktionsablauf bei der Herstellung eines Fahrrads heraussuchen.
Zu guter Letzt wird wie immer aufgeräumt. Die Einzelteile kommen zurück in die Tüten und Ölspuren sowie Flecken der Kette & Co. werden pflichtbewusst aufgewischt. Am Tafelbild mit den vielen bunten Karteikarten vorbei läuft die 6a in die Pause. Am Ende des Schultages werden einige mit dem Rad nach Hause fahren – mit ganz neuen Erkenntnissen darüber, woraus dieser Alltagsgegenstand eigentlich besteht.
Darian Harff ist von Januar bis Dezember 2019 studentischer Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsarbeit. Er studiert an der Universität „Digital Media and Society“, einen medienwissenschaftlichen Master.
Bildquellen
- In der Ecke wartet schon das Rad, zuerst gibt es aber Meldungen zur Frage des Lehrers.: SFB 1232
- Nils präsentiert das Fahrrad.: SFB 1232
- Hand anlegen tun alle. Aber nur mit Handschuhen.: SFB 1232
- Der Reifen offenbart viele kleine Einzelteilchen.: SFB 1232
- Teile fliegen: Der Rahmen wird zersetzt.: SFB 1232
- Mit Schraubenzieher das Rücklicht aufbrechen? Nils versucht es.: SFB 1232
- Lachen über ein kleines Missgeschick: Das ch vom SCHLAUch passt gerade noch so.: SFB 1232
- Woher stammt wohl der Werkstoff?: SFB 1232
- Joris stellt die Ergebnisse der Gruppenarbeit vor.: SFB 1232
- Die Kids denken sich Fragen aus.: SFB 1232
- DSC_0089_2: SFB 1232 / Darian Harff
- Das Licht wird abgebaut.: SFB 1232